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Gedanken zur Rollenverteilung in Familien
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In den meisten Familien ist Sorgearbeit noch immer Frauensache. Mütter tragen mehr Mental Load und verbringen deutlich mehr Zeit mit Kinderbetreuung - obwohl sich das viele Paare vor dem ersten Kind anders vorgenommen haben. Mit der Geburt kommt jedoch oft ein schleichender Rückfall in traditionelle Rollenverteilung.
Wie sich Muster verfestigen
Bei der Geburt des ersten Kindes ist alles neu. Ein Baby zu versorgen ist learning-by-doing - und zwar für beide Elternteile gleichermaßen. Der oft strapazierte “Mutterinstinkt” ist wissenschaftlich längst widerlegt. Trotzdem wird die Mutter rasch zur Expertin in allem, was mit dem Kind zu tun hat - und bleibt es über Jahre. Warum ist das so?
Der Faktor Übungszeit
Ein Grund liegt bereits in den ersten Wochen: Der gesetzliche Mutterschutz für angestellte Mütter ist nach der Geburt acht bzw. zwölf Wochen. Der Rechtsanspruch eines Vaters beschränkt sich auf einen Papa-Monat - und selbst der wird nur von einem Bruchteil der Väter in Anspruch genommen.
Völlig unabhängig davon, wie Eltern sich die Karenz aufteilen, haben Mütter schon nach wenigen Wochen einen deutlichen Vorsprung an gewechselten Windeln und der Anzahl von Einschlaf-Spaziergängen.
Die Signale vom Baby richtig zu verstehen und auf Bedürfnisse angemessen reagieren zu können, braucht Zeit. Gerade in der ersten Zeit mit Baby ist die Lernkurve unglaublich steil - und damit ist auch schnell der Grundstein für Ungleichheit gelegt.
Paardynamiken
Dazu kommt noch eine ungünstige Paardynamik: Viele Väter ziehen sich zurück, wenn sie sich unsicher fühlen. So vergrößert sich der Abstand weiter – die Mutter deutet die Signale des Babys besser, weil sie schlichtweg mehr Übung hat. Mit den Jahren wird eine Korrektur immer schwieriger.
Raus aus der Falle
Für Eltern heißt das: Es braucht ein bewusstes Gegensteuern, wenn man nicht in eine traditionelle Rollenverteilung rutschen will. Väter brauchen von Beginn an Zeiten, in denen sie allein und ohne mütterliche Supervision für das Baby Verantwortung tragen. Nur so entsteht Selbstvertrauen.
Dabei sind auch wir Mütter gefragt, loszulassen. Es zuzulassen, wenn der Partner beim Einpacken der Windeltasche das Spucktuch vergisst oder der Body schief zugeknöpft ist. Fehler gehören zum Lernprozess und Kontrolle verhindert, dass beide Eltern gleich viel lernen.
Die eigene Prägung überwinden
Dieses bewusste Gegensteuern ist auch deshalb so wichtig, weil es bei allen guten Absichten wirklich harte Arbeit ist, der eigenen Prägung zu entkommen.
Die heutige Neu-Elterngeneration ist in den späten 80er und 90er Jahren aufgewachsen. Eine Zeit, in der die Erwerbsquote von Müttern mit Kindern unter 15 Jahren bei 50-60% lag. Mittlerweile liegt sie bei ca. 80% (Quelle: Statistik Austria).
Für viele neugeborene Eltern war es in ihrer eigenen Kindheit also völlig normal, dass die Mutter die Kinder betreute, den Haushalt schupfte und für auch sonst alles, was mit Sorgearbeit zu tun hat, Verantwortung trug.
Solche tief verinnerlichten Bilder legt man nicht einfach ab, wie ein aus der Mode gekommenes Kleidungsstück.
Dafür braucht es Reflexion, ehrliche Gespräche und auch Konflikte auf Augenhöhe, um verfahrene Muster zu durchbrechen.
Fazit: Den Fürsorge-Muskel trainieren
In der aufregenden Zeit mit einem kleinen Baby etabliert sich oft eine Rollenverteilung, die vielleicht nie beabsichtigt war. Das passiert häufig aufgrund der eigenen Sozialisation und den Verhaltensmustern der Eltern in der frühen Babyzeit.
Deshalb sollten beide Eltern von Anfang an die Chance haben, allein für das Baby Verantwortung zu übernehmen. Der vermeintliche “mütterliche Instinkt” ist nichts Angeborenes, sondern das Ergebnis von Übung.
Fürsorge ist ein Muskel, den alle Menschen trainieren können - unabhängig von Geschlecht oder Familienform.
Über die Autorin
Die Autorin Elisabeth Witzani ist Elterntrainerin, Beraterin (in Ausbildung unter Supervision) und schreibt einen regelmäßigen Newsletter mit Fachwissen rund um starke Eltern-Kind-Beziehungen.
Mehr über ihre Arbeit auf www.elisabethwitzani.at